29.05.2015
Erste Demokratiekonferenz in Charlottenburg-Wilmersdorf
»Was bedeutet eigentlich Demokratie?« war eine der Fragen unter den rund 80 Teilnehmenden der ersten Demokratiekonferenz in Charlottenburg-Wilmersdorf am 28. Mai.
Eingeladen hatte das Bezirksamt, fachlich betreut wurde die Veranstaltung von der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin (wir berichteten). Im Veranstaltungssaal des »Haus der Jugend« in der Zillestraße waren interessierte Bürgerinnen und Bürger in Vertretung von Organisationen, Vereinen und Parteien – oder schlicht aus persönlichem Interesse – zusammengekommen um auch solche grundsätzlichen Fragen zu klären. Die große Zielsetzung des Nachmittags war jedoch ganz konkrete Problemlösungen gemeinschaftlich zu erarbeiten.
Um welche Probleme es sich dabei handeln könnte, machte Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann bereits in seiner Begrüßungsrede deutlich. Man könne leicht auf die Idee kommen »eigentlich is doch allet schnucki in Charlottenburg.« Doch man müsse vorsichtig sein: »Auch bei uns gibt es Rassismus, Homophobie, sexistische Übergriffe.« Aufgabe der Politik sei es, gegen diese Tendenzen anzusteuern. Dazu gehöre auch die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Programme wie Bürgerinitiativen und Vereine.
Das Bundesprogramm »Demokratie leben!« des Bundesfamilienministeriums soll Initiativen und Bürgerprojekte auch im kleinen Rahmen gezielt unterstützen und fördern. Charlottenburg-Wilmersdorf nimmt nun erstmals an einem solchen Bundesprogramm teil und wird über die nächsten fünf Jahre Projektförderungen verteilen können. Das Prozedere wurde vom Vertreter des SPI genauer erläutert. Einen Förderantrag können Bürger und Bürgerinnen unbürokratisch einreichen. Ein Begleitausschuss tagt viermal im Jahr und wird unter anderem über die Bewilligung von Mitteln entscheiden. Zweimal im Jahr sind zudem die Demokratiekonferenzen geplant, die alle Interessierten direkt ansprechen, Kontakt und Austausch ermöglichen und einen Rahmen für die spontane Entwicklung ganz konkreter Projektideen bieten sollen.
Die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen demokratiefeindliche Tendenzen machte Lea Lölhöftel, Projektleiterin beim »Register Charlottenburg-Wilmersdorf« mit eindrücklichen Zahlen deutlich. Das »Register Berlin« erfasst in den Bezirken rechtsextreme und diskriminierende Vorfälle auf unabhängige und anonyme Weise. »Institutionalisierter Rechtsextremismus« in Form von Vereinen, Stammtischen und Vorträgen ist beispielsweise in Charlottenburg-Wilmersdorf berlinweit am stärksten dokumentiert.
Nach diesen einleitenden Eindrücken folgte der Austausch in kleinen Diskussionsgruppen. Vier Themen waren von den Veranstaltern im Vorfeld ausgesucht worden, die verschiedene Aspekte des demokratisch-gemeinschaftlichen Miteinanders abdeckten. Über sie sollten Interessierte in den Gruppen diskutieren. Die Stichworte »Willkommenskultur«, »Ausgrenzung, Diskriminierung, Akzeptanz«, »Dialog der Generationen« und »Nachbarschaftliches Miteinander« waren vorgegeben. Ein fünftes Thema (»Bildung«) wurde von den Anwesenden nach Vorschlägen frei gewählt.
»Willkommen! ist das Gegenteil von haut ab!«
In drei 20-minütigen Diskussionsrunden konnten sich Interessierte zu den Themen zusammenfinden, so dass jede und jeder am Ende des Tages in drei verschiedenen Gruppen zu drei verschiedenen Themen diskutiert hatte. Die Kürze der Zeit sorgte dabei für sehr zielorientierte Gespräche. In den Gruppen wurden Grundsatzfragen gestellt (»Ist Willkommen ein zu beschönigendes Wort für die Aufnahme von Notleidenden?«, »Was genau bedeutet Diskriminierung eigentlich?«, »Wo beginnt die eine Generation, wo die nächste?« ), die zum Teil nicht beantwortet werden konnten, teilweise aber in überraschend einfachen Formulierungen einen Konsens erzielten: »Willkommen! ist das Gegenteil von Haut ab!«.
Die Stärke des Diskussionsformats lag offensichtlich in der Bereitschaft der Beteiligten, ihre persönlichen Erfahrungen einzubringen und in direkte Lösungsformulierungen zu übersetzen, anstatt über Begriffe zu debattieren. Zudem entwickelte sich sehr schnell ein gemeinschaftliches Gefühl, an einem Strang ziehen zu wollen. Meinungsverschiedenheiten auch sehr interessanter Art waren zwar vorhanden, wurden aber sehr respektvoll und friedfertig verhandelt. So kamen im Laufe des Nachmittags an den Pinnwänden, an denen die jeweiligen Diskussionsleiter die wichtigsten Stichworte sammelten, eine Menge sehr konkreter Vorschläge zusammen.
Ein Ziel der Konferenz war es, aus diesen Vorschlägen Projektideen zu entwickeln, die im Rahmen des Programms eine Förderung erhalten könnten. Im letzten Teil der Veranstaltung wurden in kleinen Gruppen die unterschiedlichsten Einfälle konkretisiert. Ein »Repair-Café«, das in der Nachbarschaft ein Ort der Begegnung für alle Anwohner, vom Altberliner bis zum Asylsuchenden, werden soll. Eine Bürgerinitiative, die den öffentlichen Raum mit einer gemeinschaftlich gedeckten Tafel »erobern« will. Oder ein Internetportal, das auf leicht zugängliche Weise politisch engagierte Menschen für Gespräche, Diskussionen oder Demonstrationen zusammenbringen soll.
Abseits der vorgegeben Pfade entwickelte sich aber noch eine andere, durchaus gewünschte Dynamik, die die Konferenz für die meisten Beteiligten wohl zu einer sehr erfreulichen Veranstaltung machte. Der persönliche Austausch auch neben den Diskussionsrunden führte zu vielen angeregten Gesprächen, neuen Eindrücken, Ideen und Vernetzungen.
Ein kleiner Wermutstropfen blieb der geringe Anteil derer, über die eigentlich viel geredet wurde. Kinder und Jugendliche, Migranten und Flüchtlinge waren kaum bis gar nicht vertreten. Hier ist vielleicht auch in der Kommunikationsstrategie noch Potential. Abgesehen davon lieferte die Konferenz zwar keine klare Antwort auf die Frage »Was bedeutet eigentlich Demokratie?«. Aber sie gab einen Eindruck davon, wie Demokratie funktionieren kann. In respektvollem Miteinander mit einem gemeinsamen Ziel und der Offenheit für neue Ideen.
Johannes Blech
Foto: Johannes Blech