183. Kiezspaziergang mit Carsten Engelmann
Traditionell thematisiert der März-Spaziergang anlässlich des Internationalen Frauentages die Geschichte der Frauen Berlins.
Bereits der erste Programmpunkt nach dem Start am Amtsgerichtsplatz behandelte ein düsteres Kapitel in der Geschichte Berliner Frauen. Das ehemalige NS-Frauengefängnis im Hinterhof der Kantstraße 79. Im Dritten Reich wurde es zunächst als Gefängnis für Frauen und Männer betrieben. Ab 1939 waren nur noch Frauen darin inhaftiert. Insbesondere politisch Verfolgte, z.B. Mitglieder der Widerstandsgruppe »Rote Kapelle«. Viele der Inhaftierten warteten hier auf ihre Hinrichtung.
Eine schwierige Aufgabe für die neuen Eigentümer des Gebäudes, die im Augenblick umfangreiche Sanierungsarbeiten durchführen. »Wie macht man weiter mit diesem gebauten Erbe?«, so die Architektin Frau Grüntuch-Ernst. »Behutsam« sei eine Antwort auf diese Frage. Aus dem Ort des Schreckens soll ein Hotel werden. Eine neue Offenheit soll die ehemals klaustrophobische Architektur durchdringen, damit ein Ort der Ruhe entstehen kann, um sich vom Trubel der Kantstraße zurückziehen zu können.
»Spielen und Lernen kann man nicht getrennt voneinander betrachten«
Es folgte ein kurzer Abstecher zur Kantstraße 100, in der Rosemarie Rohrlack seit 2010 die Confiserie »Madame Chocolat« betreibt. Weiter ging es durch die Pestalozzistraße, in der unter anderem seit 1980 die Volkshochschule City West beheimatet ist, zum Spielhaus in der Schillerstraße. Die Einrichtung wird von der freikirchlichen Friedenskirche betrieben und vom Jugendamt unterstützt. Das Haus und der angrenzende Abenteuerspielplatz bieten Kindern und Jugendlichen viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Dabei sieht Herr Deligio, ein Betreuer, der einige Fragen beantwortete, den Ort auch als Bildungseinrichtung: »Spielen und Lernen kann man nicht getrennt voneinander betrachten.« Und so steht neben dem freien Spielen auch politische Bildung auf dem Programm. Das Haus veranstaltet U18-Wahlen. Außerdem sind einige Kinder mit der Pflege von Stolpersteinen in der Umgebung betreut. Aber auch naturwissenschaftliche Experimente und ästhetische Bildung – die Gestaltung der angrenzenden Spielstraße beispielsweise – sind wichtige Programmpunkte. Jeden Samstag sind Nachbarn und Interessierte außerdem zu Kaffee und Kuchen eingeladen.
Über 60 Stolpersteine allein zwischen Wilmersdorfer- und Schlüterstraße
Auf dem Weg zu den nächsten Stationen des Spaziergangs lagen weitere soziale Einrichtungen des Kiezes. So zum Beispiel das »Haus der Familie« – ein Anlaufpunkt für Kinder, Eltern, Großeltern und ein wichtiger Bestandteil des Kinder- und Familienschutzes in Berlin.
Ein Ort des sozialen und kulturellen Austauschs ist auch die St.-Thomas-von-Aquin-Kirche. Die 1932 eingeweihte Hallenkirche ist der Hauptsitz der französischsprachigen Mission in Berlin. Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft – von Geflüchteten bis hin zu Diplomaten treffen sich hier in den wöchentlichen Gottesdiensten.
Ein weiteres Gotteshaus in der Pestalozzistraße ist die Synagoge im Hinterhaus der Hausnummer 14. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten viele jüdische Familien im Kiez. Heute erinnern allein in der Pestalozzistraße zwischen der Wilmersdorfer- und der Schlüterstraße über 60 Stolpersteine an die traurigen Schicksale der früheren jüdischen Bewohner.
Das einzige Museum weltweit, das sich vergessenen Künstlerinnen des letzten Jahrhunderts widmet.
Der letzte Programmpunkt des Spaziergangs führte zum »Verborgenen Museum« in der Schlüterstraße. Seit den 80er Jahren hat sich die Einrichtung zur Aufgabe gemacht, das Vorurteil zu entkräften, es habe früher keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben. Dafür sind sie stetig in Archiven, privaten Kunstsammlungen und auf alten Dachböden auf der Suche nach unentdeckten Werken – also nach verborgener Kunst. Weltweit ist es das einzige Museum, das sich auf diese Weise vergessenen Künstlerinnen des letzten Jahrhunderts widmet. Spezialisiert hat sich der dahinter stehende Verein mittlerweile auf Künstlerinnen, die um 1900 geboren wurden. Aber auch deutlich früheren Kunstwerken hat das »Verborgene Museum« bereits den Weg in die Öffentlichkeit geebnet. Dabei bietet das Museum selbst nur eine relativ kleine Ausstellungsfläche. Wichtig sind für den Verein daher auch Kooperationen mit anderen Museen weltweit und literarische Publikationen.
Mit dieser »äußerst wichtigen und interessanten« kulturellen Bereicherung nicht nur für Berlin, wie Carsten Engelmann hervorhob, schloss sich der thematische Kreis des Spaziergangs. Zum Abschied wurden anlässlich des Frauentages allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern traditionell Rosen gereicht.
Johannes Blech
Foto: Johannes Blech